"Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“

… heißt es bei Francis Picabia. Wir wollen im Folgenden versuchen, diesen Gedanken fruchtbar zu machen für einen anderen Blick auf das, was man allgemein die Zukunft nennt. Wir orientieren uns dabei an einem Interview, das Florence Gaub der ZEIT gegeben hat.

Gaub ist eine deutsch-französische Politikwissenschaftlerin und Zukunftsforscherin, die als Forschungsdirektorin der Nato-Militärakademie in Rom arbeitet. Ihre Grundthese lautet: Die Deutschen leiden an einem „Future Shock“ (Alvin Toffler), der dazu führe, dass sie sich allem Neuen verwehren. Im Interview wollte sie aufzeigen, „wie ein Land den Pessimismus überwinden kann“ (ZEIT).

Die Zukunftsangst der Deutschen – Die Analyse

Insgesamt sieht Gaub nur noch zwei Wählergruppen, die bereit sind, der Zukunft positiv entgegen zu treten: Die Anhänger der Grünen und der FDP. Für alle anderen sei das Klimathema „nur ein Stellvertreterthema für ihre weltanschaulichen Konflikte“. Grüne und FDP-Anhänger unterschieden sich jedoch radikal in der Frage, was konkret zu tun wäre: „Wirtschaft zuerst“ oder „Umwelt zuerst“.

Das in Deutschland weit verbreitete Bewusstsein, schon viel für die Umwelt getan zu haben, sieht Gaub darin begründet, dass das Land sich auf frühe Erfolge ab der 1970-er-Jahre ausgeruht habe. Sie nennt dies eine „veraltete Zukunft“, weil „die alte Idee, dass wir uns an der Spitze bewegen werden, … einfach bestehen“ blieb, während sich die Realität auf vielen Gebieten radikal veränderte.

Genau dies adressiert Tofflers Begriff des „future shock“. Er besagt, dass die Lust auf Veränderung schwindet, wenn sich zu viele Dinge auf einmal ändern. Und da Studien zeigen, dass gerade bei Deutschen Zukunftsangst schon seit Jahrzehnten übermäßig weit verbreitet ist, fällt bei uns der Status Quo (die Häufung der Krisen in neuerer Zeit) besonders stark ins Gewicht.

Als Grund für die übermäßige Zukunftsangst nennt Gaub generelle „kulturelle Unterschiede“ im Umgang mit Ungewissheiten. So seien – im Gegensatz zu Deutschland – z. B. Länder wie „die Niederlande, Großbritannien, die USA oder auch Israel Kulturen, die sich mit Ungewissheit ganz wohlfühlen und sie als Vakuum begreifen, in dem man was Cooles machen kann.“ Hinzu komme dann in Deutschland noch „ein leichter intellektueller Snobismus, der sich lustig macht über die oberoptimistischen Amerikaner – als wäre es die größere Leistung, alles schlimm zu finden.“

Was Politik und Wirtschaft tun können – Die Lösung im Großen

Als erstes in die Pflicht zu nehmen ist nach Gaub die Politik, gefolgt von der Wirtschaft. Beiden obliege es, einen „Vermeidungsdiskurs“ bzw. ein „Vermeidungsnarrativ“ zu verhindern, das dem Duktus folge: „Ihr müsst aufhören mit X, Y oder Z, sonst wird es noch schlimmer.“ So könne etwa auch der Bundeskanzler dazu beitragen, eine eher positive Kommunikation auf den Weg zu bringen: „Die eigentliche Frage ist, was denn die positive Zukunft von Olaf Scholz ist – wovon er träumt, was für ihn 2030, 2040 oder 2050 cool wäre.“

Die Reaktion etwa auf die Energiefrage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine („Wir brauchen Gas, Gas, Gas!“ - Heuser) offenbare nur „kurzsichtiges Denken“: „Hauptsache, wir stopfen schnell dieses Loch, um uns nicht verändern zu müssen.“

Dem entgegen steht – schon rein begrifflich – das langfristige strategische Denken, auf das sich viele erst gar nicht einlassen wollen, weil es in Demokratien aufgrund der Wahlzyklen sowieso verhindert werde. Diesem Argument erteilt Gaub allerdings eine Abrede. Laut Studienlage seien Demokratien „das zukunftsfittere politische System“, weil sie im Gegensatz zu Autokratien (in denen nur ein kleiner Kreis führt) ihren Kurs immer wieder korrigieren können.

Grundsätzlich gelte sogar: „Je mehr direkte Demokratie, desto besser.“, weil dann die Möglichkeit, an der eigenen Zukunft mitzuwirken, ungleich größer sei. Dem stehe jedoch - neben der historisch bedingten „Furcht vor zu viel direkter Mitsprache“ – auch der Umstand entgegen, dass Menschen dazu neigen, nur an die unmittelbare Zukunft denken, während doch in der Wirklichkeit alle geschichtlichen Prozesse eher langfristig angelegt seien. „Die Demokratie musste erdacht werden, das Wirtschaftssystem … Jeder von uns profitiert heute von einer positiven Zukunft unserer Vorfahren. Die Vereinigten Staaten von Europa basieren auf einer Idee aus dem 17. Jahrhundert, und heute sind sie in großen Teilen Wirklichkeit.“

Wie eine positive Wende erreicht werden kann

Um das Vermeidungsnarrativ zu unterlaufen, sei – wie geschildert - „ein attraktiveres Storytelling“ gefordert. „Es ist die Kunst von Politik wie auch von Zukunftsforschung, dass wir eine gewisse Zukunft identifizieren, sie zum Leben erwecken und den Menschen zeigen.“ Je konkreter dies sei, desto eher könne man die Menschen emotional erreichen. Gaub: „Im Volksmund heißt das positives Denken.“

Als Beispiel hierfür nennt Gaub eine Ausstellung in Saudi-Arabien, in der es um die Megastadt „The Line“ ging. „Da zeigt ein Staat den Leuten mal eine positive Zukunft. Du gehst in diese Ausstellung mit der Musik und den Lichtern und bekommst vor Augen geführt: Wir werden gesund sein, wir werden super viel Gemüse essen und uns bewegen, Zeit für unsere Freunde haben, weil wir dank Digitalisierung nicht mehr so viel arbeiten müssen.“

Bezogen auf den Klimawandel könne man so z. B. in Deutschland das Bild einer grünen Zukunft malen, auf dem konkret zu sehen ist, was dieser für die Menschen real bedeutet, als da sind: Effizientere Digitalisierung, gesündere und erhöhte Lebensqualität und vielleicht sogar kürzere Arbeitszeiten. Statt im öffentlichen Diskurs so „unschöne Bettgesellen wie Verbote und Kosten“ anzuführen, müsse man das Thema „in ein anderes Bett legen, mit positiven Gesellen.“

Was wir selbst in der Erziehung tun können - Die Lösung im Kleinen

Als hervorragende Stellschraube für einen positiven Diskurs sieht Gaub den Geschichtsunterricht, denn „wenn Sie sich mit Geschichte befassen, entwickeln Sie automatisch ein Zeitgefühl und können besser in die Zukunft denken.“ Kindern dürfe dabei jedoch nicht einseitig das Gefühl gegeben werden, dass sie einer Besorgnis erregenden Bedrohung ausgeliefert sind. Vielmehr solle man ihnen auch vermitteln, „was alles möglich ist, damit die Katastrophe nicht eintritt.“

Das setze jedoch voraus, dass man es mit „kritischen Geistern“ zu tun habe, die gelernt hätten, in „Hypothesen und Antithesen“ zu denken und sich - „gedankliche Pirouetten“ drehend - auch mal selbst zu widerlegen. Das sei durchaus erreichbar, wenn nicht immer nur „eine ‚richtige‘ Antwort gelernt und abgefragt“ werde. Und sie staunt: „Faszinierend, was unser Gehirn alles spielerisch lernen kann – wenn man das übt.“

Fazit

Unterm Strich hält Gaub eine mentale Kehrtwende der Deutschen zu einem „pragmatischen Optimismus“ grundsätzlich für möglich: Ganz einfach deshalb, weil ihrer Meinung nach einerseits in Deutschland tatsächlich viel „passiert“, und andererseits die Menschen zwar Angriffe auf den Status quo partout nicht mögen, dennoch aber sich gut mit ihnen arrangieren können. Gaub: „Die Deutschen sind jedenfalls nicht zum Pessimismus verdammt.“

Was uns von LocalCommunity4You umtreibt

Genau das ist es auch, was uns von LocalCommunity4You umtreibt, nämlich die Frage: Wie bringt man Menschen dazu, eine positive Wende auch nur in Betracht zu ziehen? Welche Projekte gibt es – im Großen wie im Kleinen -, die Mut machen im Hinblick auf eine Zukunft, in der es sich zu leben lohnt? Gaub jedenfalls scheint mit uns zu glauben, dass es möglich ist, den Glauben an solche Projekte einzuimpfen bzw. zu installieren: „Das ist wie Sporttreiben und Zähneputzen.“

Um das zu verstehen hilft vielleicht abschließend ein längeres Zitat aus dem vorliegenden Interview, in dem Florence Gaub noch einmal etwas länger zu Wort kommen soll;

„In der Zukunftsforschung fragt man die Leute, ob sie positiv oder negativ nach vorne schauen. Überraschung: Die meisten sagen dann ‚negativ‘. Eine Forscherin aus Südafrika hat die Frage anders formuliert und Probanden gesagt: ‚Schreib mir mal einen Essay, wie du dir die Zukunft 2030 vorstellst.‘ Dann hat sie dieses Essays in eine künstliche Intelligenz eingespeist, die ein Bild daraus machte. Es war ein positives Bild mit viel Grün, mit Menschen, die zusammen standen und sich unterhielten, mit hilfreicher Technologie und so weiter. Wir sollten vielleicht seltener fragen: ‚Deutschland, wovor fürchtest du dich?‘, und öfter: ‚Deutschland, worauf hast du Lust?‘“

[Transparenzhinweis: Das Interview erschien unter dem Titel „Wer Angst hat, kann nicht nach vorne denken“ am 08.02.2024 in der ZEIT. Der Interviewpartner war Uwe Jean Heuser. - Von Florence Gaub gibt es das Buch „Zukunft, Eine Bedienungsanleitung“, erschienen bei dtv.]

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